Interview Henri
Cabannes
Zweite Frage :
Was möchten Sie unter den heutigen Umständen der
europäischen Jugend ganz besonders ans Herz legen ?
Antwort :
Ich bin nicht mehr jung, die Zeit meiner Jugend liegt weit hinter mir. Ich habe sie jedoch
nicht vergessen. Wie sollten die von meiner Generation durchlebten Jahre aus
meinem Gedächtnis, ja aus der Erinnerung meiner Zeitgenossen geschwunden sein ?
Frankreich wurde in tausend Jahren erbaut, das Gleiche gilt für alle Länder,
die auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken können wie etwa Italien,
Portugal, Spanien und England. Für Deutschland aber liegen die Dinge anders.
Hitler verkündete, sein Frieden würde tausend Jahre herrschen. Sein Frieden ist aber nie Wirklichkeit
geworden, sein zwölfjähriges Reich endete mit seinem Selbstmord.
Ich möchte allen jungen Europäern, ob Franzosen, Rumänen
oder Deutschen, zurufen, sie sollen alle miteinander Europa bauen. Es kostet
freillich viel Geduld und Ausdauer, bis der Bau vollendet ist, doch wird es
nicht tausend Jahre in Anspruch nehmen.
Dank den fabelhaften Fortschritten, die ganz besonders durch Internet das
Verkehrswesen revolutioniert haben, ist der Erdrund zu einem Dorf zusammengeschrumpft. Heute wird aus
Paris aus Tokyo in zwölf Stunden erreicht. Zur Zeit, da mein Vater in Paris
studierte und von dort seine Familie in Nizza besuchte, dauerte die Fahrt
vierzehn Stunden. Als mein Grossvater rmütterlicherseits, den ich noch gekannt
habe, ein Kind war, da gab es den
elektrischen Strom noch nicht.
Heutzutage können die auch am stärksten bevölkerten
Nationen nicht mehr für sich allein leben. Europea bildet vom Atlantiik bis zum
Ural – nach General de Gaulles berühmtes Wort -
ein Ganzes von sechshundert Millionen Einwohnern, die über zehn Jahrhundete
lang an einer gemeinsamen Kultur teilhatten, besonders im Religiösen. Vor
Zeiten wurden Kriege geführt, um Grenzsteine zu versetzen, heute werden Grenzen
nicht weggeschoben sondern einfach ausradiert.
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs geht der Einigungsprozess Westeuropa
langsam aber sicher voran. Wir sind, meine Frau und ich, mehrmals nach
Deutschland gefahren, ohne an der Grenze halten zu müssen, ja zuletzt ohne Geld
wechseln zu müssen. Dies bedeutet nicht nur einen gewaltigen Fortschritt in praktischen
Dingen, sondern es erfreut auch den Geist. Wir haben sehr gute Freunde in
Deutschland. Von der Sprache abgesehen, ist beiderseits alles gleich. Wir sind,
meine Frau und ich, überzeugte Europäer geworden.
Zum Schluss möchte ich allen jungen Menschen sagen :
« Werdet Europäer, ohne dabei euer
Vaterland zu verleugnen, lernt mit unermüdlichem Eifer Länder und Leute in
Europa kennen, knüpft in ganz Europa Bande der Freundschaft ! »
Es sei mir erlaubt, noch einen Wunsch zu äussern, der freilich nicht hierher zu
gehören scheint. Seid auf eure Gesundheit bedacht ! Lasst euch nicht durch Nikotin oder Alkohol eure Gesundheit ruinieren ! Der
Aufbau Europas verlangt Söhne, die nicht
nur von Begeisterung erfüllt , sondern auch körperlich gesund sind.
Viel Glück für Rumänien,
viel Glück für Europa !
Dieses Interview
wurde mit der rumänischen Zeitschrift Magazin Historic, Nr. 428, November 2002,
geführt und von ihr veröffentlicht.